Leben

Einst, da war ich noch sehr klein. Das war vor einiger Zeit und schon so lange her, dass es mir vorkommt, es wäre nicht ich gewesen. Aber ich kann mich daran erinnern, also war es wohl ich und es war dann auch noch nicht sehr lange her.  Ich war ein kleines blondes Mädchen mit wippenden Locken und ich liebte es auf der Straße zu tanzen und zu hüpfen. Ich glaube sogar, dass ich selten einfach nur ging. Ich schwebte und träumte davon, dass der Wind mich fliegen lässt, einfach hochhebt. Ich brauche nur meine Arme auszubreiten und ich fliege. So klein war ich da. Und du warst so groß wie es eben Erwachsene sind. Und wie alt du warst, war mir damals ein Rätsel. Dass du auch mal klein warst, wollte ich dir nie glauben, einfach weil ich nicht glauben konnte, dass es Babys mit grauen Haaren geben könnte!

Du warst also groß und ich klein und so war meine Welt damals. Sie war warm und sonnig. Immer wenn ich an damals denke, sehe ich Rosen, rote Rosen und es ist warm und sonnig. Nur in unserem Keller war es nass und kalt, in diesem Keller war dein Wein, dein Schatz. Voller Ehrfurcht habe ich die Flaschen bestaunt, damals.

Das Leben damals…

Damals weiß ich noch, wie ich über die Straßen der Stadt schwebte, an Orte an die du mich geführt hast, ich war so voller Vertrauen und nichts konnte mir passieren, weil du da warst. Du sangst mir Lieder, damit ich einen besseren Rhythmus hatte zum hüpfen. Du hattest kleine Reime für mich und meine Freundinnen, so dass sich unsere Namen auf Lebensmittel reimten und du hieltest meine kleine Hand in deiner,  an der ein Finger zu kurz war, was mich immer faszinierte und dich nur noch einzigartiger machte! Und wir lachten. Du hattest Sonne im Gesicht.

Nur manchmal hatte ich Angst, ich hatte Angst zurück zu bleiben, denn deine Schritte waren so unglaublich weit und schnell. Diese Schritte, wenn du durch die Straßen gingst, sie glichen einem Marsch. Stark und stolz! Offen für die Welt! Ich war so klein, ich dachte,  ich werde nie nie niemals mit dir mithalten können. Ja, so dachte ich. Und wenn du auf der Straße anhieltest, weil du einen Bekannten sahst, da war ich heimlich froh für die Pausen und bewunderte deine Art mit jedem offen und frei zu sprechen. Und wenn uns der Weg weiter führte, so schwebte ich weiter hinter dir her wie ein Schatten im Wind.

Oft rief ich dir zu, du sollst bitte langsam gehen, denn meine Beine sind nicht so lang und ich schaffe es nicht dein Tempo zu halten, dann hast du langsamer gemacht, aber nicht langsam genug für mich. Ich war so oft traurig, weil ich einfach nicht so schnell gehen konnte wie du und wie gesagt ängstlich dich für immer zu verlieren. Einmal hattest du mich sogar verloren, am Strand, in Odessa. Zum Glück war ich laut und habe geschrien, du konntest es dir nie verzeihen, auch als alles wieder gut war.

Ein Schatten des Vermissens

Nun habe ich dich verloren. Für immer. Seit Jahren schon. Du bist nicht mehr da. Du fehlt mir. Jetzt bist du mein Schatten, der mir folgt. Ein Schatten in meinem Herzen, ein Schatten auf meiner Seele. Du wirst mir immer fehlen, dass weiß ich. Und diesmal muss ich dich gehen lassen, laut schreien bringt nichts. Aber so ist der Lauf der Zeit. Ich ahnte es, als ich nicht mehr so klein war, und wusste es noch etwas später, dass du nicht ewig bist.  Ich wusste es, als ich genauso schnell gehen konnte wie du.